Aktuelle Debatte Gewerkschaften – Liebscher: Tarifverträge sorgen für einen fairen Wettbewerb

Sehr geehrter Herr Präsident,
werte Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete,

„Klatschen zahlt die Miete nicht!“ Das sollte aus arbeitspolitischer Sicht die Schlussfolgerung aus der Pandemie sein – wenn uns unsere Fachkräfte im Land lieb sind. An Lob fehlt es nicht – und nicht an Bekenntnissen zu den systemrelevanten Berufen. Fachkräfte sind der Kit und der Motor unserer Versorgungssysteme, unserer Wirtschaft und unserer Gesundheit.

Doch der Blick auf die Statistik zeigt unsere Schwäche: Nur ein gutes Drittel der Beschäftigten in Ostdeutschland ist durch einen Tarifvertrag geschützt. Die Kleinteiligkeit der sächsischen Wirtschaftsstruktur fällt dabei stark ins Gewicht: Die Tarifbindung in kleinen Betrieben liegt sogar bei nur neun Prozent.

Was wir aktuell nach der letzten Verhandlungsrunde der Metaller als Entgegenkommen bei VW beobachten, ist schön und löblich. In Größenordnungen von VW ist die überfällige Angleichung der Löhne im Osten und Westen ein Rechenspiel.

Aber: Die Angleichung der Arbeitsbedingungen in Ost und West muss in Sachsen endlich umfassend umgesetzt werden! Als Unternehmer habe ich die Erfahrung gemacht, dass Tarifverträge nicht nur im Interesse der Beschäftigten liegen. Tarifverträge erleichtern die Personalpolitik im Unternehmen erheblich. Sie schaffen zudem gleiche Bedingungen für Unternehmen und sorgen damit für fairen Wettbewerb.

Hier sind jetzt die Tarifparteien gefragt, sich im Interesse beider Seiten – der Unternehmen wie der Arbeitnehmenden – für allgemein gültige Tarifverträge und den Schutz der Beschäftigten einzusetzen.

Meine Damen und Herren,
wir erleben einen dramatischen demografischen Wandel, der strukturbestimmend ist. Und allen Prognosen zufolge wird der Fachkräftemangel die Pandemie als beschränkender Faktor ablösen.

Eine neue Bewegung der ostdeutschen Beschäftigten und kampfstarke Gewerkschaften – das ist, was dieses Land in der Tat nun braucht.

Und dabei will ich ihnen nicht vorenthalten, meine Damen und Herren: Der Tarifvertrag ist eine sächsische Errungenschaft. Den ersten Tarifvertrag schloss 1873 der Verband der Deutschen Buchdrucker, mit damaligem Sitz in Leipzig ab. Der folgte auf den sogenannten Drei Groschen-Streik von 1865. Die Buchdrucker setzten damals einen höheren Lohn durch, doch circa 50 der Streikenden verloren ihre Anstellung. Bis heute ist betriebliche Mitbestimmung ein schwer erstreitbares Gut.

Allerdings, wie der Titel der Debatte ankündigt: Dieser Mut und dieses Selbstbewusstsein der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wächst wieder im Freistaat. Der grassierende Fachkräftemangel ist auch als Chance für Beschäftigte zu verstehen, hier in Sachsen starke Tarifverträge durchzusetzen. Die Beschäftigten einiger sächsischer Unternehmen machen es vor und organisierten sich trotz Pandemie zu kreativen Formaten des Arbeitskampfes. Auch in Sachsens High Tech Sektor erhalten Tarifverträge weiter Einzug.

Angesichts der großen strukturellen Veränderungen, in denen sich Sachsen aktuell befindet, sehr verehrte Damen und Herren,
muss es unser gemeinsames Ziel sein, die Transformation unseres Energiesystems wie auch die Digitalisierung mit starken Gewerkschaften zu begleiten.

Moderne Unternehmen, die sich für technische, ökologische Innovation begeistern, sind selbstverständlich ebenso angehalten, Tarifverträge zu ermöglichen oder anzuerkennen. Welche Anreize und Rahmenbedingungen können wir als Politik dafür schaffen, sehr verehrte Damen und Herren?

Wir sind gefragt, die Tariftreue bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen zu regeln, damit die Unternehmen von öffentlichen Aufträgen profitieren, die tarifgebunden sind oder mindestens entsprechende Löhne zahlen.

Wirtschaftspolitisch werden wir uns dafür einsetzen, die Unternehmen Sachsens an ihre Verantwortung gegenüber Beschäftigten zu erinnern. Und in Richtung der Gewerkschaften ergeht der Gruß, „Vorwärts und nicht vergessen, worin unsre Stärke besteht!“

Arbeit & Wirtschaft | | 21.05.2021

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