Aktuelle Debatte Inflation – Liebscher: Für eine unabhängige Versorgung brauchen wir den Ausbau der Erneuerbaren

Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,

„Missremembering Weimar“, eine Studie der Uni Zürich und der Jungen Akademie Deutschland, bescheinigt den Deutschen eine verwirrte Erinnerung an die Weimarer Wirtschafsgeschichte:

Wo immer die Inflationsrate steigt, wird der Vergleich mit der Hyperinflation bemüht. Doch warum haben die Deutschen so ein Problem mit der Geschichtsanalyse und warum fokussiert man sich hier derart auf niedrige Inflationsraten?

Die Weimarer Zeit wird in unserem kollektiven Gedächtnis als eine Zeit der Wirtschaftskrise erinnert, geprägt von galoppierenden Preissteigerungen und grassierender Arbeitslosigkeit. Dabei wird ignoriert, dass die große Depression, Massenarbeitslosigkeit und Massenarmut erst nach Abschluss der Hyperinflation auftrat. Hitlers Machtergreifung ging die tiefe Rezession der dreißiger Jahre, mit sinkenden Preisen, voraus. Die Wirtschaftsgeschichte verwischt bei vielen Debatten hierzulande zu einer nebligen Brühe.

So lassen sich auch heute an der Wahl des Debattentitels einige Fehlstellen im Geschichtsbewusstsein der Antragsstellenden ablesen. Statt hysterisch ins Nebelhorn zu blasen und die Hyperinflation auszurufen, empfiehlt sich eine gründliche Analyse der Situation:

Ein epochaler wirtschaftlicher Einbruch liegt hinter uns: Die Weltwirtschaft hat mit der Gesundheitskrise einen äußeren Schock erlebt, worauf eine außerordentliche Verknappung des Angebots folgte. Vergleichbar ist diese Situation historisch eher mit der Ölpreiskrise der 1970er Jahre als mit der Hyperinflation nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg. Die schnell anziehende Konjunktur auf dem Weltmarkt lässt die Nachfrage schneller steigen als das Angebot.

Wir sehen das in Sachsen in gleicher Weise wie in Gesamtdeutschland: Nach einem drastischen Umsatzrückgang im zweiten Quartal 2020 sahen wir einen steilen Aufwärtstrend der Geschäftserwartungen – die Mitte 2021 durch Lieferproblematik und steigende Energiepreise wieder gedämpft wurden.

Auf das vorübergehende Nachfragehoch kann Geldpolitik kurzfristig nicht einwirken. Eine veränderte Politik der EZB würde frühestens in einigen Jahren Auswirkungen auf das Wirtschaftsverhalten nach sich ziehen.

Was in der Debatte oft unbeachtet bleibt, ist Folgendes:

Die Inflation von rund fünf Prozent im Vorjahresvergleich, die wir seit Winter 2021 beobachten, ist zu großen Teilen auf sogenannte Basiseffekte zurückzuführen. Das heißt – die Preise waren im Vorjahr (2020) unterdurchschnittlich niedrig. Grund dafür war teilweise die vorübergehende Mehrwertsteuersenkung bis Ende 2020, und zudem der Einbruch der Energiepreise im vergangenen Winter.

Es ist also falsch, anzunehmen, dass die Zentralbanken diese Schwankungen ausgleichen können. Vielmehr geht es darum, sozialpolitisch soziale Härten abzufedern – sowie wirtschaftspolitisch gegenzusteuern.

Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Preissteigerung im Energiebereich noch einige Monate andauern wird, dann müssen wir nicht mit geldpolitischen, sondern mit sozialen Maßnahmen flankieren. Und gleichzeitig die eigene Produktion kostengünstiger Alternativen, der erneuerbaren Energien, ausweiten. Mit diesen Forderungen sind wir als BÜNDNISGRÜNE immer aufgetreten.

Die durch die fossile Inflation steigenden Gaspreise werden für die privaten Verbraucherinnen und Verbraucher im kommenden Sommer mit der Nebenkostenabrechnung deutlich spürbar. Im Bund wird daher aktuell auf Hochtouren an sozialpolitischen Projekten gearbeitet. Die Erhöhung des Heizkostenzuschusses ist nur ein Element der Maßnahmen, die die Ampel zugunsten der Bürgerinnen und Bürger mit geringem Einkommen umsetzen wird. Zudem ist die Einführung der Kindergrundsicherung zu erwarten – eine weitere gezielte Maßnahme, die Familien mit geringem Einkommen unterstützt. Der Mindestlohn wird zum Sommer auf über zehn Euro steigen und anschließend entsprechend Koalitionsvertrag auf zwölf Euro erhöht. Durch diese Maßnahmen unterstützen wir umgehend die schwächeren Einkommen.

Sehr geehrte Damen und Herren,
die derzeitige Inflation ist eine güterbezogene Preissteigerung. Der Preistreiber „Gas“ ist klar und deutlich auszumachen! Die Verknappung fossiler Energien wird mit steigendem Ressourcenverbrauch nur zunehmen – ein Naturgesetz!

Und ein Naturgesetz sollte Ihnen allen bekannt sein: Wenn es „pressiert“, wird es durch Abwarten niemals besser, sondern nur noch dringlicher!

Man kann es nicht anders sagen: Hinter uns liegt ein verlorenes Jahrzehnt für die Energiewende! Man hat energiepolitisch – auch und gerade in Sachsen – sehenden Auges aufs falsche Pferd gesetzt! Jetzt müssen wir Schluss machen mit der weiteren Verfeuerung fossiler Brennstoffe! Jetzt gilt es, unsere Versorgung unabhängig von Energierohstoffen zu gestalten! Jetzt müssen wir den Ausstieg aus der geopolitischen Abhängigkeit schaffen!

Und das bedeutet den Einstieg in die Verantwortung für unsere europäische Zukunft und den dringend notwendigen strukturellen Umbau des Energiesystems.

Meine Damen und Herren,
Sonne und Wind stehen uns als Bürgerinnen und Bürgern frei zur Verfügung. Wir können diese Energie dezentral nutzen, es gibt keine demokratischere Form der Energieversorgung.
Im Bund macht man sich auf dem Weg: Stärkung der Bürgerenergieversorgung, Ausbau der Netze, Vereinfachung von Genehmigungsverfahren. Es geht um die Verdreifachung unserer Kapazitäten zur Stromgewinnung – in kürzester Zeit. Und im Interesse der günstigen Energieversorgung unseres Landes sollten wir im Freistaat Sachsen diese Angebote nutzen! Ich lade Sie ein, mit mir und vielen anderen in der Wirtschaft bei unseren Bürgerinnen und Bürgern für die finanziellen und wirtschaftlichen Vorteile des Ausbaus Erneuerbarer zu werben.

Wir müssen endlich an einem Strang ziehen und auch in Sachsen das energiepolitische Gestern verabschieden!

Vielen Dank.

Arbeit & Wirtschaft | | 09.02.2022

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