E-Mobilität – Liebscher: Freistaat muss als Beispiel vorangehen und Fuhrpark konsequent prioritär vollelektrisch ausstatten

Sehr geehrter Präsident,
werte Kolleginnen und Kollegen,

starten wir gleich mit der Probe aufs Exempel im Parlament des Autolandes Sachsen – wer von Ihnen, werte Kolleginnen und Kollegen – besitzt ein Auto? Und wer von Ihnen besitzt ein Elektroauto? Was meinen Sie, übertreffen Sie den sächsischen Elektrofahrzeug-Anteil? Dieser liegt immerhin bei stolzen 0,71 Prozent! Sicher, diese Zahl enttäuscht und zeigt, wie viel Wegstrecke noch vor uns liegt. Gerade einmal rund 15.600 der angemeldeten zwei Millionen Autos in Sachsen sind reine Elektrofahrzeuge. So verwundert es nicht, dass der Verkehrssektor nach wie vor die zweitgrößte Quelle für Treibhausgasemissionen in Sachsen ist, weiterhin mit leicht steigender Tendenz. Um die Klimaschutzziele und die notwendige Minderung der Treibhausgasemissionen dennoch zu erreichen, müssen insbesondere im Verkehrssektor die Klimaschutzanstrengungen deutlich erhöht werden. Und die Elektromobilität bildet dabei einen wichtigen Baustein. Doch warum ist die Elektromobilität in Sachsen noch nicht tiefgreifend als echte Alternative zu den herkömmlichen Verbrennern angekommen? Warum fährt Sachsen hier nach wie vor mit angezogener Handbremse? Trotz der sächsischen Modellregion für Elektromobilität seit 2009 und dem ansässigen Schaufenster-Programm der Bundesregierung? Warum hinken wir im Freistaat sogar dem Bundesdurchschnitt von 1,27 Prozent hinterher, obwohl die großen sächsischen Autobauer bereits klar auf Transformation und Elektromobilität setzen? Natürlich, reinen E-Fahrzeugen eilt noch immer nicht der Ruf voraus, sie wären ähnlich im Alltag einsetzbar wie „normale“ Autos. Da spielen der Zweifel an der Reichweite, aber auch die Verfügbarkeit von Ladeinfrastruktur eine entscheidende Rolle. Um die Elektromobilität alltagstauglich zu machen, braucht es eine flächendeckende Ladeinfrastruktur und damit die Sicherheit, bei Bedarf das Auto in kurzer Zeit laden zu können. Hier machen wir im Freistaat Sachsen zwar Fortschritte, insbesondere in den Großstädten, aber ich fürchte, wir sind noch immer nicht gut genug und schon gar nicht im ländlichen Raum. Fachkreise sprechen beispielsweise von flächendeckender Ladeinfrastruktur, wenn an Fernstraßen alle 30 bis 50 Kilometer Schnelllademöglichkeiten vorhanden sind. Da kommen wir im Freistaat bei weitem noch nicht ran. Man kann schon froh sein, wenn man zum Beispiel auf den fast 40 Kilometern zwischen Freiberg und Marienberg eine normale Ladestation vorfindet. Und selbst in Leipzig sind die E-Autofahrer über die zu geringe Zahl an Lademöglichkeiten genervt. Aber jenseits dieser vielleicht subjektiven Eindrücke – wo stehen wir wirklich in Sachsen? Natürlich gibt das Register der Bundesnetzagentur einen schnellen Überblick über die 1.229 öffentlichen Ladepunkte im Freistaat. Doch wie ist die qualitative Analyse dieser Verteilung? Wo gibt es die größten Defizite, wo den besten Ausbaugrad, bei welchen Infrastruktureinrichtungen? Braucht der ländliche Raum gegebenenfalls andere Rahmenbedingungen oder Förderung, um auch hier der E-Mobilität zum Durchstarten zu verhelfen? Oder welche Bedarfe gibt es in Tourismusregionen, um den Anforderungen und der Nachfrage unserer Gäste gerecht zu werden? Wir Koalitionsfraktionen bitten die sächsische Staatsregierung, genau diese qualitative Analyse durchzuführen, um gleichzeitig auch Ausbauhindernisse und Förderlücken und -bedarfe zu identifizieren, um diese dann bei Bedarf durch ein sächsisches Förderprogramm zu füllen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

doch mit einem Förderprogramm allein ist es nicht getan. Nein, der Freistaat Sachsen muss selbst handeln. Einerseits um einen eigenen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten und andererseits um mit gutem Bespiel voranzugehen. Denn gute Bespiele wirken mehr als Kampagnen und warme Worte. Als Freistaat voranzugehen, heißt nicht nur, den landeseigenen Fuhrpark endlich konsequent prioritär vollelektrisch auszustatten, sondern auch die Ladeinfrastruktur in seinen Liegenschaften umfänglich auszubauen – mindestens ein Ladepunkt je fünf Stellplätzen, nutzbar nicht nur für den Landesfuhrpark, sondern auch privat für die Bediensteten und die Öffentlichkeit. Nein, jetzt darf es keine Ausreden nach dem Henne-Ei-Problem „kein Ladepunkt, kein E-Fahrzeug“ mehr geben. Und wenn doch, sollen die zusätzlichen CO2-Emissionen dieser Ausreden kompensiert werden. Kompensiert aber nicht irgendwo, sondern hier vor Ort in Sachsen. Da wären wir natürlich auch bei einem weiteren Punkt: Um tatsächlich nennenswert Treibhausgasemissionen einzusparen, ist es entscheidend, wo der Strom für die E-Fahrzeuge herkommt. Dabei setzen wir BÜNDNISGRÜNE selbstverständlich vehement auf die Energiewende und die Nutzung erneuerbare Energien, denn nur mit diesen gibt es einen konsequenten Klimaschutzeffekt. Gleichzeitig ist davon auszugehen, dass sich beim Ausbau und der Nutzung von erneuerbaren Energie auch Synergien für die dezentrale Stromversorgung der Ladeparks ergeben. Der Ausbau von Ladeinfrastruktur heißt dann nicht notwendiger Weise auch Netzausbau. Dieser kann beispielsweise durch intelligente Speichersysteme vermieden werden. Speichersysteme im E-Mobilitätskreislauf, durch die Wiederverwendung von ausgedienten Akkus. Das ist keine ferne Zukunftsmusik, sondern ein solches Pilotprojekt wird derzeit in Hannover durch ein in Kamenz ansässiges Unternehmen umgesetzt. Hier erhalten alte Busbatterien ein zweites Leben als Zwischenspeicher zum Ausgleich von Lastspitzen und für die Versorgung der öffentlichen Ladeinfrastruktur. So wird nicht nur der Antrieb konsequent emissionsfrei, sondern auch der Lebenszyklus der Batterien deutlich verlängert und somit die Wirtschaftlichkeit und die Klimabilanz verbessert. Dies sei nur ein Beispiel, für künftige Potenziale und Synergien der Elektromobilität. Ziel muss es sein, unabhängig vom Erdöl zu werden und regionalen erneuerbaren Strom unsere Fahrzeuge antreiben zu lassen. Dies meine Damen und Herren, ist eine gelungene Antriebswende. Aber natürlich, und da will ich auch kein Blatt vor den Mund nehmen, die Antriebswende allein reicht nicht. Denn die Antriebswende ist noch lange keine Verkehrswende, sondern nur ein Teil davon. Es nützt wenig, wenn wir alle Verbrenner durch E-Autos ersetzen und weitermachen wie bisher. Eine reine Antriebswende löst weder Staus auf, noch verbessern sich Platz- und Verkehrssicherheitsprobleme. Nein, wir müssen es, neben der wichtigen Antriebswende, auch schaffen, Verkehre zu vermeiden und zu verlagern. Weniger motorisierter Individualverkehr, mehr Mobilität per Bus, Bahn, Rad – oder zu Fuß. Diese sogenannte Mobilitätswende wird uns wahrscheinlich in den Städten besser gelingen als auf dem Land. Aber auch im ländlichen Raum müssen wir die Rahmenbedingungen für die Nutzung des Umweltverbundes deutlich verbessern, um auch hier den Umstieg zu ermöglichen. Diese Rahmenbedingungen herzustellen, dazu haben wir uns als Koalition verabredet.

Werte Kolleginnen und Kollegen,

lassen Sie uns an dieser Stelle endlich die Handbremse an der Antriebswende lösen und Sachsen zu einem Land der E-Mobilität machen, auf dem Weg zu einer umfassend klima-, umwelt- und sozialverträglichen Mobilität. Und in Replik auf die allseits zitierte AfD-Mär, es würde nicht genug Strom zum Laden der E-Autos geben: Es ist absolut unrealistisch, dass alle Elektroautos gleichzeitig mit 16 kW Strom tanken. Es ist ja auch ein eher seltenes Ereignis, dass alle 48 Millionen Pkw in Deutschland gleichzeitig an die Tankstelle fahren. Aktuelle Studien rechnen damit, dass der Energiebedarf von den angestrebten 10 Millionen Elektroautos in Deutschland nur ein Bruchteil des jährlichen Nettostromverbrauchs ist.

Verkehr | | 13.07.2022

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